Ein Hahn, ein Kaufmann und ein Maler
Über Maler und ihre Bilder gibt es viele Geschichten.
Hier berichte ich von einem Kaufman der zu einem Maler ging, er solle einen Hahn malen.
„Man hat dich empfohlen“, begann der Mann, „man hat mir gesagt, du malst Vögel aller Art“.
„Auch das, auch Vögel“
„Mein Hahn, mein fröhlicher Hausgenosse ist nicht mehr. Ich möchte ein Bild von einem Hahn“.
„Ja, den kann ich dir malen“, sagte der Maler.
„Wird er wie lebendig aussehen?“
„Erzähle mir von dem Hahn“.
Der Maler hörte sich die Geschichte vom klügsten und schönsten Hahn der Welt geduldig an. Hin und wieder fragte er nach Details wie nach Größe und Farbe, nach seinem Krähen und Gebaren.
Der Mann beschrieb ihm sein Lieblingstier. Er krähte und stolzierte im Atelier herum, stand auf einem Bein und flatterte mit den Armen, schüttelte sich, plusterte sich auf und verstummte, und trocknete seine Tränen, denn seine Schilderung hatte ihn traurig gemacht.
Der Maler sagte: „Ich sehe wie du den Hahn vermisst. Das ist eine ehrenwerte Aufgabe für mich. Am besten kommst du in einem halben Jahr wieder“.
„So lange? Geht es nicht schneller?!“
Der Maler schüttelte seinen Kopf.
„So ein gewaltiges Tier braucht Zeit“
„Wenn es dir gelänge meinen Hahn wie lebendig zu malen, dann zahle ich dich fürstlich dafür ...!“
„Dein Wunsch ist mir eine Ehre. Du wirst sehen wie er kräht“
Der Kaumann bedankte sich und ging frischen Mutes heimwärts.
Als er nach einem halben Jahr wiederkam und fragte ob sein Bild fertig sei, antwortete der Maler, es ist zu früh, er sei frühestens in vier Wochen soweit.
„Was, noch einen ganzen Monat?!“
„Ja, sagte der Maler, ich brauche noch ein paar Wochen, dann wird dein Hahn wie lebendig vor dir erscheinen“.
Als der Kaufmann nach einem Monat wiederkam und das Bild zu sehen begehrte, legte der Maler ein großes angefeuchtetes weißes Papier auf seinen Arbeitstisch. Er klebte die Ränder mit einem Klebestreifen fest. Dann lud er seinen Kunden zum Teetrinken ein.
„Wir müssen warten, bis das Papier etwas trocknet und sich spannt“, sagte er.
Der Geschmack des Tees beruhigte den Kaufmann. Das Papier war inzwischen angetrocknet und gespannt wie eine Trommel.
Der Maler holte Farben und Pinsel, Tusche und Wasser.
Dann begann er um das weiße Blatt zu kreisen. Mit leichten Schritten so als tanze er. Dann schwang er seine Pinsel wie Zauberstäbe, tauchte in Schwarz, Rot, Grün und Blau, Ocker und Weiß.
Es sah aus wie der Auftritt eines Magiers auf einer Bühne. Im Zentrum des Geschehens lag das große weiße Papier.
Als die Pinselspitze das Blatt berührte, und mit raschen Strichen und Klecksen eigenartige verwirrende Figuren aufs Papier schrieb, die sich auf wunderbare weise immer mehr zu einem Vogel zusammenfanden, spürte der Kaufmann sein Herz vor Aufregung pochen.
Zuerst schien es, als brenne der Vogel, als stampfe ein Hahn im Kampf mit einem anderen Hahn auf den Boden. Seine scharfen Krallen blitzten gefährlich, sein Gefieder begann grün und blau zu schillern, seine Federn, seine Flügel vibrierten. Sein Federschweif zuckte und sein Kamm war wütend rot, der Schnabel halb geöffnet zu einem wilden Hahnenschrei.
Der Kaufmann wagte kaum, zu atmen. Als der Maler innehielt, zurück trat, sein Werk betrachtete und die Zeichenplatte auf eine Staffelei stellte, zufrieden sagte:
„Nun sieht man wie er Kräht“, war es, als erwache er aus einem Traum. Er fand keine Worte. Endlich brachte er stammelnd hervor.
„Vortrefflich, nein, einfach wunderbar. Der Hahn ist gelungen, umwerfend, sieht so lebendig aus, aus als könne er krähen. Was möchtest Du dafür?“
Der Maler nannte den Preis.
„Was so viel?“
Dem Kaufman stieg die Röte ins Gesicht. Seine Stimme wurde schrill.
„Bist Du wahnsinnig, soviel für ein Bild. Das verdienen meine Angestellten in drei Monaten. Für ein Bild das Du in nicht mal einer Stunde gemalt hast?!“
„Gefällt er Dir?“
„Ja, der Hahn ist wie lebendig. Aber der Preis, wie kommst Du auf diese enorme Summe für nicht mal eine Stunde?“
Da ging der Maler wortlos zum ersten Schrank und öffnete ihn, er quoll über von Zeichnungen von Hühnervögeln in allen Lebenslagen, Kampfhähne, Hahn mit Hühnern, Hahn im Flug, Hahn auf dem Mist. Eine Fülle von Zeichnungen mit Kreide, Kohle, Wasserfarbe, Holzschnitten. Es wimmelte nur so von Hähnen, dass einem schwindelig wurde.
Dann öffnete der Meister die Schubladen eines weiteren Schrankes voller Zeichnungen der krähenden Zunft.
„Willst Du noch mehr davon sehen. Es gibt noch mehr im Speicher“
Der Maler zog ein Bündel Zeichnungen nach dem anderen hervor und breitete die Blätter von Hähnen über den Arbeitstisch.
Der Hahn auf dem meisterlich gemalten Blatt, war der schönste Hahn von allen.
„Ich glaube Dir, halt ein!“, rief der Kaufmann. Er hatte begriffen, wie viel Zeit in das Bild des Hahns geflossen war, und er legte freiwillig zwei, drei Scheine obendrauf.